Andrea Bina
Die Malerin Agathe Schwabenau-Doposcheg und Linz um 1900
2019 veranstaltete das Nordico Stadtmuseum Linz eine Ausstellung über den Maler, Industriellen und Kosmopoliten Egon Hofmann. Bei der Recherche und Zusammenstellung für diese Schau stießen Michaela Nagl und ich (Kuratorinnen) auf die Tagebücher der Mutter des Künstlers „Erinnerungen – Aus meinen Leben“: Schriften von Mutter Agathe an ihren Sohn Egon und zugleich Schriften einer Malerin an einen Maler.
Zwei Frauen der Familie Hofmann hüten den Schatz und sind bemüht, die Familiengeschichte weiterzuerzählen. Zwar sind die originalen Schriften verschwunden, aber Kopien sind vorhanden. In diesem Vermächtnis an ihren Sohn dürfen wir mit Agathe in ein Linz des 19. Jahrhunderts eintauchen.
Wien ist zwar nur 200 km von Linz entfernt, allerdings liegen zwischen der geistigen Atmosphäre des „Wiener Fin de Siècle“ und der Provinzstadt Linz Welten, obwohl die Einwohner*innenzahl von Linz zwischen 1880 und 1910 um fast auf das Doppelte ansteigt: von 41.000 auf 70.000. Wien, die pulsierende Metropole des Reichs, viertgrößte Stadt Europas und siebtgrößte der Welt, hat 1890 fast eineinhalb, 1910 mehr als zwei Millionen Einwohner*innen und gilt als Laboratorium der Moderne. Das kulturelle Leben von Linz hingegen ist vom kulturkonservativen, mehrheitlich deutschnational orientierten Bildungsbürgertum der Stadt dominiert.
Agathes Eltern übersiedeln in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Wien nach Linz, in der k. u. k. Monarchie gibt es wenige Grenzen für seine Bürger*innen. Agathes Vater stammte aus Böhmen und lernte seine Frau bei seiner Stationierung im ungarischen Ödenburg (Sopron) kennen. Und nun war der Papa als k. u. k. Vizestatthalter nach Linz versetzt worden. Sein Dienstort ist das Landhaus und für die Familie mietet er genau vis à vis eine große Wohnung an. Ebendort auf der Promenade führt man einen Salon, in dem man würdig durch einen livrierten Diener empfangen wird.
Ignoranz gegenüber der Moderne und anhaltendes Dilettantentum im Bereich der Kunst zählen zu den zentralen Merkmalen der Kultur des Provinzbürgertums. Vereine prägen um 1900 das kulturelle Leben von Linz. Sie etablieren sich nach den ersten Vorläufern im Vormärz, der Aufbruchsstimmung um 1848 und schließlich in der Phase des Liberalismus. Der Schriftsteller, Maler und Lehrer Adalbert Stifter übersiedelt nach der Revolution von 1848 von Wien nach Linz und übernimmt fortan eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Seit 1821 besteht der Musikverein, seit 1833 der Musealverein, seit 1845 der Sängerbund Frohsinn, seit 1851 der Oberösterreichische Kunstverein und 1865 ist das Gründungsjahr des Verschönerungsvereins. Sie alle werden das kulturelle Leben von Linz nachhaltig prägen: Der Musealverein ist Begründer des Museums Francisco Carolinum, das 1895 in ein neu errichtetes Museumsgebäude in der Museumsstraße einzieht. Der Kunstverein vereint alle namhaften Künstler*innen der Stadt, bis zur Gründung des Kunstvereins MAERZ im Jahr 1913 ist er gewissermaßen die einzige Standesvertretung der bildenden Künstler*innen von Linz. Der Verschönerungsverein übernimmt die Gestaltung der Linzer Ausflugsziele am Bauernberg und Freinberg. Viele die Stadt bis heute prägende kulturelle Initiativen, gehen auf die Aktivitäten der bürgerlichen Vereinsära zurück.
Agathe von Schwabenau, am 23.9.1857 in Ödenburg (Sopron) geboren, ist die jüngste von drei Kindern. Sie wächst gemeinsam mit ihren beiden älteren Schwestern Marianne und Valerie am Familiengut im ungarischen Alatka und an der Linzer Promenade 25 auf, ihre Familie bewohnt hier den zweiten Stock der Dierzer‘schen Stadtresidenz und ist gesellschaftlich in der Stadt gut verankert. Sowohl ihre Mutter Antonie von Schwabenau, als auch ihr Vater Anton Ferdinand Ritter von Schwabenau (1800–1881) zeigen durchaus Interesse für Kunst und Kultur. Ihr Vater bekleidet zahlreiche öffentliche Ämter in Linz, warum die Familie von Ödenburg in die oberösterreichische Landeshauptstadt übersiedelt. Er wirkt als Vizepräsident der k. u. k. Statthalterei, und später in der Pension als Gemeinderat, ist er korrespondierendes Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften und Vereine. Von 1863 bis 1869 ist er Präsident des Oberösterreichischen Musealvereins und legt selbst eine geologische Sammlung an. Seinen Versteinerungsforschungen geht er mit großer Leidenschaft während der Sommerfrische im kaiserlichen Ischl und Hallstatt nach, wo die Familie, wie in aristokratischen Kreisen üblich, ihre Urlaubszeit verbringt.
Mangels Wahlrecht (passiv wie aktiv) bleiben Frauen aus dem öffentlich-politischen Leben vor dem Ersten Weltkrieg weitgehend ausgeschlossen. Nicht nur in der Politik, auch der Zugang zu höherer Bildung muss für Frauen erst mühsam erkämpft werden. Erst seit 1889/90 gibt es in Linz eine höhere Schule für Mädchen, das Mädchenlyzeum in der Museumsstraße. Ebenso wenig war das künstlerische Umfeld in Linz am Ende des 19. Jahrhunderts ausgeprägt, als wichtigste Institution galt der 1851 gegründete Oberösterreichische Kunstverein. Daneben existieren noch zwei private Malschulen.
Antonie Schwabenau, Agathes Mutter, ist selbst Malerin und fördert daher den Wunsch ihrer Tochter ebenfalls zu malen. Agathe erhält einen ersten privaten Malunterricht durch den Wiener Landschaftsmaler Melchior Fritsch (1826–1889), der allerdings mit Agathes Eheschließung endet.
1882 heiratet Agathe den Linzer Unternehmersohn Richard Hofmann (1857–1926), dessen Eltern Adolf (1819–1897) und Josefine Hofmann (1822–1872) um 1850 von Böhmen nach Linz übersiedelt waren. Bereits 1843 waren die beiden in Wien vom Juden- zum Christentum übergetreten. Adolf Hofmann, Selfmademan und erfolgreicher Wirtschaftspionier in der ersten Gründungsphase der Linzer Industrialisierung, gründete 1854 mit seinen beiden Schwägern Moriz Löwenfeld (1824–1896) und Wilhelm Löwenfeld (1827–1901) die „Kunstmehlfabrik Brüder Löwenfeld und Hofmann“ in Kleinmünchen. Das erfolgreiche Unternehmen produziert Nudeln und diverse Suppeneinlagen für das Militär und exportiert die Waren nach Belgien, Deutschland, Holland und England. 1881 übernimmt Richard die Prokura der Firma, allerdings zögert sich seine aktive Nachfolge und Übernahme der Geschäfte noch viele Jahre hinaus. 1881 forcieren Adolf Hofmann und Emil Dierzer von Traunthal den Bau der Kremstal-Bahn und gründen 1888 gemeinsam das „Portland Zementwerk Kirchdorf, Hofmann & Comp.“. Diese Firma ist das künftige Arbeitsgebiet von Richard.
Agathe und Richard Hofmann wohnen gemeinsam mit ihren drei Kindern Egon (1884–1972), Agathe (1885–1919) und Adolf (1891–1934) auf dem Familienanwesen in unmittelbarer Nähe der Kunstmühle. Kleinmünchen liegt zu diesem Zeitpunkt noch vor den Toren der Stadt Linz, die Eingemeindung erfolgt erst 1923. Das Leben ist naturverbunden und sehr beschaulich. Agathe versucht ihren Ehemann Richard und ihre Kinder mit unterschiedlichen Freizeitaktivitäten zu amüsieren, sie hat große Lust auch neue Errungenschaften unmittelbar auszuprobieren. Sie schenkt ihrem Ehemann Richard bereits in dieser Zeit einen ersten Fotoapparat. Unterschiedliche Sportarten werden ausgeübt und probiert: Jagen, Fischen, Tennis, Skilauf und das Football-Spiel. 1897, nach dem Tod des Patriarchen Adolf Hofmann, übersiedelt die junge Familie in das Familienpalais in der Linzer Herrenstraße. Agathe adaptiert das weitläufige Haus, das mit seinen großzügigen Repräsentationsräumlichkeiten fortan Mittelpunkt geselliger Familienfeste und bürgerlicher Gesellschaften wird. Abende mit Hauskonzerten, unter anderem begleitet vom Pianisten und Musikdirektor August Göllerich und dem Bariton Alfred Poell, unterschiedlichen Spieleabenden, allerlei Festen und gesellschaftlichen Ereignissen finden im Hofmann’schen Salon im Zentrum von Linz statt.
Über lange Jahre setzt sich Agathe Hofmann auch im Bereich der bildenden Kunst ein. In der Herrenstraße wird für sie, hofseitig mit Blick in den Garten, ein Atelier mit guten Lichtverhältnissen eingerichtet, das später von ihrem Sohn, dem Maler und Industriellen Egon Hofmann übernommen wird.
Einen abrupten Einbruch im Hofmann’schen Familienleben stellt die Scheidung von Agathe und Richard Hofmann um 1905 dar. Fortan lebt Agathe fern von ihren Kindern, damals 21, 20 und 14 Jahre alt, und der Linzer Herrenstraße.
Mit einer Heirat geben alle Frauen, egal ob bürgerlich oder proletarisch, rechtlich gesehen ihre Eigenbestimmung ab. Bis 1975 (!) gilt in Österreich der Mann als Oberhaupt der Familie, viele Entscheidungen, so zum Beispiel in Bezug auf Wohnsitz, Arbeit oder Kinder, können Frauen nur mit Zustimmung ihres Ehemannes treffen.
Agathe verlässt Linz, um in den kommenden Jahren in München und in weiterer Folge mit ihrem zweiten Ehemann, dem Wissenschaftler Josef Doposcheg-Uhlár, in Partenkirchen zu leben. Sie widmet sich fortan ganz der Kunst.
Agathe Schwabenau-Doposcheg ist eine starke Frau, die nie ihr Ziel aus den Augen verliert. Konsequent geht sie ihren Weg der Kunst, damit ist sie Vorbild für unsere heutigen Künstlerinnen. Exemplarisch können wir anhand Agathes Leben ein bewegtes Frauenschicksal nachzeichnen, das in Linz seinen Ausgang nimmt: große gesellschaftspolitische Veränderungen, Scheidung und Tod zwei ihrer drei erwachsenen Kinder, zwei erlebte Weltkriege und Hinwendung zu ihrer großen Begabung, der Malerei.
Das Nordico Stadtmuseum Linz plant für 2022 die Ausstellung „Auftritt der Frauen. Unerschrockene Künstlerinnen in Linz 1850–1950“. Ein begleitendes Buch ist in Vorbereitung.
Andrea Bina, Leiterin des Nordico Stadtmuseum Linz, 2021